Was würde Humboldt sagen: Sklaverei heute

Schon Alexander von Humboldt war ein Kritiker der Sklaverei. Doch trotz Verboten herrschen auch heute noch vielerorts sklavereiähnliche Verhältnisse – beispielsweise in der Textilindustrie. Das betreffe nicht nur die Produktionsstätten im globalen Süden, sondern auch mitten in Europa, berichtet die Nachhaltigkeits-Aktivistin Nora Milena Vehling.

Eins der Ausstellungsobjekte im Humboldt Labor ist ein Baumwollhemd. In ihm fand Claudia Klütsch aus Köln den Hilferuf eines Nähers aus Bangladesh.
(c) Anne von Petersdorff

Noch zu Lebzeiten Alexander von Humboldts, der ein scharfer Kritiker der Sklaverei war, wurde sie in Großbritannien (1833) und Frankreich (1848), im Jahre 1865 auch in den Vereinigten Staaten abgeschafft. Somit liegt es nah, sie als etwas Historisches und längst Überwundenes zu begreifen. Doch noch immer leiden viele Menschen unter Lebens- und Arbeitsbedingungen, in denen Menschen ausgebeutet und ihrer Freiheit beraubt werden. Ein sehr prägnantes Beispiel sei die Textilindustrie, sagt die Nachhaltigkeits-Aktivistin Nora Milena Vehling. „Sie ist das perfekte Beispiel für alles, was in der Globalisierung falsch läuft.“

Vor einigen Jahrzehnten waren zwei bis vier Kollektionen im Jahr, Frühjahr und Winter, Standard. Heute werden Läden und Online-Handel das ganze Jahr über mit billigen neuen Kleidungsstücken geflutet. Dabei gerate aus dem Blick, welchen Weg diese durchlaufen haben – und unter welchem Druck die Arbeiter:innen in der Textilindustrie stehen, sagt Vehling, die die Initiative Fashion Revolution in Deutschland mit aufgebaut hat, beim Bündnis für nachhaltige Textilien aktiv ist und beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu) arbeitet. An der Humboldt-Universität hat sie Religion und Kultur an der Theologischen Fakultät studiert, das studentische Nachhaltigkeitsbüro mit aufgebaut und am Integrativen Forschungsinstitut zur Transformation von Mensch-Umweltsystemen (IRI THESys) mitgewirkt.

„Das Problem ist, dass wir gar keine Wahrnehmung der Menschen haben, auf deren Kosten wir leben. Das war mit der Sklaverei zu Humboldts Zeiten auch schon so“, sagt Vehling. Im Rahmen ihres Engagements im Bündnis für nachhaltige Textilien, in dem sich Vertreter:innen der Textilwirtschaft, von Gewerkschaften, der Bundesregierung, der Zivilgesellschaft und Nachhaltigkeitsinitiativen zusammengeschlossen haben, hat sie sich mit der Region Tamil Nadu in Indien auseinandergesetzt – ein Beispiel unter vielen.
„Es gibt ganze Landstriche, die von den Auswirkungen des Einsatzes giftiger Chemikalien in der Textilindustrie betroffen sind – auf Grund fehlender Filter und/oder Vorschriften. Trotzdem werden Menschen gezwungen, mit gefährlichen Chemikalien zu arbeiten, die sie krank machen“, sagt Vehling. Es werde vor allem von körperlicher Maßregelung und Misshandlung sowie sexualisierte Gewalt berichtet. Menschen in Textilfabriken werden verprügelt, viele verletzten sich bei der Arbeit. „Manche bringen ihre Kinder mit, die dann auf dem Boden neben den Nähmaschinen liegen. Andere bringen ihre Arbeit mit nach Hause und zwingen die Kinder mitzuarbeiten. Die meisten sind allerdings selbst einfach Kinder“, erzählt die Aktivistin. Menschen würden eingesperrt und zur Arbeit gezwungen. „Wenn man Fast-Fashion-Mode kauft, ist man mit Sklavenarbeit konfrontiert“, sagt sie.

Ein anderer Begriff, der für Formen extremer Ausbeutung wie Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution verwendet wird, ist der der „modernen Sklaverei“. Solche Zustände fänden sich nicht nur in Indien und Südostasien. „Auch in Italien gibt es Dörfer mit chinesischen Textilarbeiter:innen, die sozial komplett isoliert sind“, berichtet Vehling.

Initiativen wie Fashion Revolution machen mit ihren Kampagnen auf die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie aufmerksam, um einen Bewusstseinswandel zu anzustoßen. Mit der Frage, wie die Situation verbessert werden kann, haben sich auch Studierende der Themenklasse „Nachhaltigkeit & Globale Gerechtigkeit“ am IRI THESys beschäftigt. „Der Aufhänger war, dass es 2013 dieses Unglück in einer Textilfabrik in Bangladesch gab, bei dem mehr als tausend Menschen umgekommen sind. Wir haben uns gefragt: Was ist seitdem passiert?“, erzählt Katja Kowalski. Gemeinsam mit drei anderen Stipendiat:innen des Jahrgangs 2018/2019 hat die Geografin Interviews mit Vertreter:innen der Textilindustrie und Nichtregierungsorganisationen geführt. „Die Expert:innen waren sich einig, dass faire Löhne gesetzlich geregelt werden müssen. Denn Unternehmen werden diese nicht freiwillig einführen. Die Textilindustrie ist nicht umsonst in Ländern angesiedelt, wo es keine ausreichenden Lohnuntergrenzen gibt“, sagt Kowalski.
Ein weiteres zentrales Thema der Gespräche sei die Forderung nach mehr Transparenz gewesen. In dieser Hinsicht gab es inzwischen Änderungen. Im Juni 2021 hat der Bundestag ein Lieferkettengesetz verabschiedet, das Unternehmen ab einer bestimmten Größe unter anderem dazu verpflichtet, potenziell negative Auswirkungen auf die Menschenrechte zu analysieren und transparent zu machen. Ein zentrales Ziel des Gesetzes ist, das Verbot von Kinderarbeit durchzusetzen. Denn laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit müssen weltweit 79 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten – viele von ihnen in der Textilindustrie.

Transparenz in der Produktion ist ein Aspekt, der Veränderung herbeiführen könnte, das Verhalten von Konsument:innen ein anderer. Wie es um das Wissen von Studierenden über die Bedingungen in der Textilindustrie steht, wollten Katja Kowalski und ihr Forschungsteam in einer Online-Umfrage unter 500 Studierenden ermitteln. „Wir haben herausgefunden, dass es ein starkes Bewusstsein gegenüber den Bedingungen in der Textilindustrie gibt“, sagt die Geografin. Gleichzeitig zeigten die Ergebnisse, dass sich dieses Wissen nicht unbedingt aufs Handeln auswirke. „Es ist nicht so, dass Studierende nur noch fair und nachhaltig produzierte Kleidung kaufen.“ Helfen würden bessere Informationsmöglichkeiten, vermutet Kowalski. „Es ist oft so, dass Konsument:innen oft gar nicht wissen, was das Siegel bedeutet, das an ihrem T-Shirt hängt.“

Transparenz ist dabei nicht nur hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, sondern auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Umwelt ein Thema. Denn die Ausbeutung von Menschen geht – nicht nur in der Textilindustrie – mit der Plünderung natürlicher Ressourcen und der Verschmutzung der Umwelt einher. Dieses Zusammenwirken vom Menschen und seiner Umwelt wird auch in der Eröffnungsausstellung des Humboldt Labors im Humboldt Forum unter dem Titel „Nach der Natur“ diskutiert. Einblicke in Forschungsprojekte der Berliner Exzellenzcluster machen dabei deutlich, wie wichtig die Zusammenarbeit von Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Fachgebiete ist.

Auch Alexander von Humboldt hat den Blick über den eigenen Tellerrand gewagt – was die Disziplinen betrifft, aber auch seine eigene kulturelle Verortung. „Er hat die damalige Welt verlassen und sich mit Menschen auseinandergesetzt, mit denen man eigentlich ,nicht redete’“, sagt Nora Milena Vehling. Damit habe er den Grundstein für Interdisziplinarität und interkulturelle Zusammenarbeit gelegt – zentrale Voraussetzungen, um den heutigen Herausforderungen einer globalisierten Welt begegnen zu können.

Text: Inga Dreyer

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